Das Forschungskolleg Humanwissenschaften: Projekte
Juni 2010–Dezember 2010
Warenästhetik, die glänzenden, verlockenden Oberflächen käuflicher Güter, wurde lange als zentrale Kraft im Rahmen einer Strategie der Manipulation verstanden, mit der man Kunden systematisch den Kopf verdreht, sie verführt. Psychische, soziale oder auch ökologische Folgen hiervon standen auf der Agenda einer kritischen Konsumforschung. In Erweiterung und Facettierung, mitunter auch Revision etablierter kapitalismus- und konsumkritischer Perspektiven sind in den letzten Jahren aber auch produktive Aspekte des modernen Massenkonsums in den Fokus wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gerückt.
Die einzelnen Veranstaltungen
Teil 1
Öffentlicher Vortrag und öffentliches Seminar Wolfgang Ullrich Konsumpoesie Eine neue Form der Aneignung von Produkten Vortrag: Dienstag, 29. Juni 2010, 18.00 Uhr Seminar: Mittwoch, 30. Juni 2010, 11.00 Uhr |
Wolfgang Ullrich, geb. 1967, ist Professor für Kunst- und Kulturwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. 2007 hat er die grundlegende Untersuchung Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur? vorgelegt. Insbesondere deren ästhetischen Potenzialen gilt Ullrichs Augenmerk, wobei er auch auf den ersten Blick unspektakuläre Objekte wie Duschgels zum Gegenstand seines Nachdenkens macht.
In seinem Vortrag am Forschungskolleg wird Ullrich zur Diskussion stellen, inwiefern Konsum immer auch als ein von fiktionalen Momenten geprägter kreativer Akt innerhalb einer Kultur zu verstehen ist, die sich bei aller damit verbundenen Problematik längst nicht mehr ausschließlich von Parametern wie Sparsamkeit, Dauerhaftigkeit oder Bedürfnisaufschiebung her begreift. Die Modellierung der Emotionen im Kaufakt ist dabei mit einem kritischen Blick auf gängige Marketing-Strategien verbunden, die sich in der Regel damit begnügen, vorhandene Bedürfnisse zu spiegeln, statt ihrerseits kreativ: bewusst und möglicherweise mit Bedacht formend mit diesen umzugehen.
Teil 2
Öffentlicher Vortrag und öffentliches Seminar Daniel Miller The Art of Denim Vortrag: Montag, 25. Oktober 2010, 18.00 Uhr Seminar: Dienstag, 26. Oktober 2010, 11.00 Uhr |
Daniel Miller, geb. 1954, ist Professor für Anthropologie und Material Culture am University College London. Seit mehr als 20 Jahren erforscht er das Phänomen des Konsums und seine materielle Kultur. Einige seiner Hauptwerke tragen Titel wie A Theory of Shopping (1998) oder The Dialectics of Shopping (2001). Eines seiner jüngsten Bücher The Comfort of Things (2008) erscheint im Herbst 2010 unter dem Titel Der Trost der Dinge in deutscher Übersetzung.
Miller betrachtet Waren als Objekte, an die man, so banal sie scheinen mögen, mit dem Blick eines Ethnologen heranzugehen habe: Sich auf die Fremdheit des Alltäglichen und seiner praktischen Vorgänge einzulassen, bildet dabei die Voraussetzung dafür, jeder vorschnellen Schematisierung zu widerstehen und auf die unzähligen Kräfte achtzugeben, die im Umgang mit materiellen Objekten wirken und die uns sogar als Individuen hervorbringen. Seine Studien widmen sich oft ganz konkreten Phänomenen wie dem Auto, dem Handy, der Coca-Cola oder – wie in seinem Vortrag am Forschungskolleg – der Blue Jeans. Diese ist für ihn ein Objekt, das einerseits gewissermaßen in ethnographischer Feindifferenzierung als in vielen lokalen Kulturen mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen wahrzunehmen ist und das doch andererseits als wahrhaft universelles Kleidungsstück zu betrachten ist: als Global Denim, so der Titel von Millers neuer Studie, die im Herbst erscheint.
Vortrag und Seminar finden in englischer Sprache statt.
Teil 3
Öffentlicher Vortrag und öffentliches Seminar Eva Illouz Emotional Commodities Vortrag: Dienstag, 9. November 2010, 18.00 Uhr Seminar: Mittwoch, 10. November 2010, 11.00 Uhr |
Eva Illouz, geb. 1961, ist Professorin für Soziologie an der Hebrew University Jerusalem. Eines ihrer Hauptthemen ist die Transformation, die die moderne Emotionalität durch Kapitalismus, Konsum und Ökonomisierung erfahren hat. Ihre grundlegende Untersuchung Consuming the Romantic Utopia (1997) (dt. Der Konsum der Romantik) zeigt die Verwobenheit von Gefühlskultur und Markt auf und wurde von der Wochenzeitung »Die Zeit« als soziologischer Klassiker bezeichnet. An der Goethe-Universität hat sie im Jahr 2001 die Adorno-Vorlesungen zum Thema The Culture of Capitalism gehalten.
In ihrem Vortrag stellt sie eine neue Grundlagenstudie vor. In dieser führt sie die eigentümliche Dynamik der Konsumkultur auf ein komplexes Wechselspiel zurück, bestehend aus Emotionen (verstanden als ›soziologischer Zentaur‹ mit ebenso flüchtigen wie identitätsstabilisierenden Anteilen) und Imaginationen (verstanden als ›gesellschaftlich verortete Entfaltung kultureller Phantasien‹).
Vortrag und Seminar finden in englischer Sprache statt.
Teil 4
Öffentlicher Vortrag und öffentliches Seminar Thomas Wegmann Über Versprechen schreiben Zur Zeitstruktur des Konsums in der Erzählliteratur Vortrag: Montag, 6. Dezember 2010, 18.00 Uhr Seminar: Dienstag, 7. Dezember 2010, 11.00 Uhr |
Thomas Wegmann, geb. 1962, arbeitet als Privatdozent für Neuere Deutsche Literatur und Literaturtheorie an der Berliner Humboldt-Universität. Er ist einer der renommiertesten Kenner der Schnittstelle von Literatur und Ökonomie. Zu diesem Thema hat er zwei große Studien verfasst: Tauschverhältnisse. Zur Ökonomie des Literarischen und zum Ökonomischen in der Literatur von Gellert bis Goethe, in der er die Verwobenheit von Literatur und Ökonomie mit Blick auf die Literatur des achtzehnten Jahrhunderts diskutiert, sowie Dichtung und Warenzeichen: Zur Beobachtung und Bearbeitung von Reklame im literarischen Feld 1850 – 2000, in der er den Input untersucht, den die mit der industriellen Revolution expandierende Reklamekultur für literarische Darstellungsweisen bedeutet.
In seinem Vortrag am Forschungskolleg geht er von der Prämisse aus, dass Konsumakte nicht nur in der Gegenwart stattfinden, sondern komplexe Prozesse darstellen, in denen sich Versprechen und Begehren, Präsenz und Absenz, Reales und Imaginäres überlagern. Seit Gustave Flaubert mit Madame Bovary die vielleicht berüchtigtste europäische Verbraucherin um 1850 kreierte, interessiert sich die Literatur für das Narrations- und Reflexionspotenzial des Konsums: für die Frage nach dessen emotionalen, sozialen und ökonomischen Komponenten.
Presse
Bernd Frye (E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! Tel.: 06172/13977-14)
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